- Preußen wird Großmacht: Der preußisch-österreichische Dualismus im 18. Jahrhundert
- Preußen wird Großmacht: Der preußisch-österreichische Dualismus im 18. JahrhundertDas Jahr 1740 ist ein Wendepunkt in der deutschen und europäischen Geschichte. Mit der Herausforderung der habsburgischen Großmacht durch Friedrich II. stieg Preußen, das bis dahin nur eine zweitrangige Rolle gespielt hatte, nach wechselvollen Kämpfen in den Kreis der europäischen Großmächte auf, während sich Österreich gegen die zunächst scheinbar übermächtigen Gegner im Österreichischen Erbfolgekrieg behaupten konnte. Mit dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 hatte sich das System der europäischen Pentarchie mit den fünf Großmächten Frankreich, Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen herausgebildet, das die europäische Politik bis zum Ersten Weltkrieg bestimmte; zugleich war auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches der preußisch-österreichische Dualismus entstanden, der erst über hundert Jahre später, nach der Schlacht von Königgrätz 1866, sein Ende finden sollte.Der Aufstieg Österreichs zur GroßmachtÖsterreich — das Haus Habsburg — war für Jahrhunderte die Vormacht des Heiligen Römischen Reiches gewesen. Seit 1438 waren ausschließlich Habsburger zu Römischen Königen bzw. Kaisern gewählt worden; zugleich besaßen sie den umfangreichsten Territorialkomplex innerhalb der Reichsgrenzen.Als Träger der Kaiserkrone und als Territorialmacht befand sich die »Casa d'Austria« in einer Doppelstellung: Territorialpolitik einerseits und Reichspolitik andererseits standen in einem spannungsreichen Verhältnis zueinander und wiesen die Außenpolitik des Kaisers in verschiedene Richtungen. Im Westen musste Kaiser Leopold I. vor allem auf die Expansionspolitik des französischen Königs Ludwig XIV. reagieren, der seit 1667 in immer neuen Anläufen versuchte, die Grenzen Frankreichs nach Osten zu verschieben. Die militärische Schwäche des Kaisers, die frankreichfreundliche Politik mancher Reichsstände, schließlich die gleichzeitige Bedrohung durch das Osmanische Reich verhinderten lange eine wirkungsvolle Abwehr der französischen Eroberungen. Erst die im Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688—97) gebildete große antifranzösische Allianz, der sich neben Kaiser und Reich England, die Niederlande, Spanien und Savoyen anschlossen, vermochte schließlich, Ludwig XIV. nicht nur zum Verzicht auf seine pfälzischen Ansprüche, sondern auch zur Restitution Lothringens und zur Rückgabe eines Teils der Reunionen und der besetzten spanischen Niederlande zu zwingen.Der Schwerpunkt der habsburgischen Territorialpolitik lag dagegen im Osten. Nach der vergeblichen Belagerung Wiens durch die Osmanen 1683 gelang es in einem 16 Jahre währenden Krieg, die Türken aus Ungarn zu vertreiben. Der Frieden von Karlowitz 1699 bestätigte Österreich die Erwerbung von Ungarn und Siebenbürgen mit Ausnahme des Banats; bereits 1687 hatten die ungarischen Magnaten dem Hause Habsburg den erblichen Besitz der Stephanskrone zugestanden. Mit der Eroberung Ungarns war Österreich als Territorialmacht in den Kreis der europäischen Großmächte aufgestiegen und zugleich aus dem Reich herausgewachsen. Der Schwerpunkt seiner Politik verlagerte sich in den folgenden Jahrzehnten zunehmend auf die dynastischen Interessen, die auch den Hintergrund des Spanischen Erbfolgekrieges (1701—14) bildeten. In ihm vermochte das Haus Habsburg zwar nicht die Herrschaft über Spanien zu erringen, doch erlangte es mit dem Königreich Neapel, mit Mailand und den spanischen Niederlanden einen beträchtlichen Gebietszuwachs; nach dem Türkenkrieg der Jahre 1716 bis 1718, der nach glänzenden Siegen des Prinzen Eugen von Savoyen das Banat, Serbien und die Kleine Walachei einbrachte, erreichte die Habsburgermonarchie ihre größte Ausdehnung.Die Außenpolitik der folgenden beiden Jahrzehnte war vor allem durch den Versuch Kaiser Karls VI., des letzten noch lebenden männlichen Habsburgers, bestimmt, die internationale Anerkennung der Pragmatischen Sanktion (1713) zu erreichen, die seiner ältesten Tochter Maria Theresia die ungeteilte Erbfolge in den habsburgischen Erblanden sichern sollte. Eine Garantie bot die erlangte Anerkennung durch das Reich und Frankreich allerdings nicht, wie sich 1740/41 zeigen sollte. Am Ende der Regierungszeit Karls VI. musste Österreich herbe Rückschläge einstecken: Im Polnischen Erbfolgekrieg (1733—35/38) verlor es im Tausch gegen Parma das Königreich Neapel und Teile des Herzogtums Mailand; ein erneuter österreichisch-russischer Türkenkrieg (1737—39) führte nicht nur zum Verlust der 1718 gewonnenen Gebiete in Serbien und der Walachei, sondern machte auch die innere Schwäche der Habsburgermonarchie deutlich.Das Werden PreußensWie der habsburgische Besitz war auch das Territorium der hohenzollerschen Kurlinie ein Konglomerat aus heterogenen Bestandteilen. Den Kern des späteren preußischen Staates bildete das Kurfürstentum Brandenburg, doch griff der Territorialbesitz der Kurfürsten seit dem frühen 17. Jahrhundert weit nach Westen und Osten aus: Aus dem jülich-klevischen Erbe konnten 1609/14 am Niederrhein und in Westfalen das Herzogtum Kleve und die Grafschaften Mark und Ravensberg erworben werden; 1618 fiel der hohenzollernschen Kurlinie das aus einem Teil des Ordensstaates gebildete Herzogtum Preußen zu, das sich noch bis 1660 unter polnischer Lehnshoheit befand.Im Dreißigjährigen Krieg wurde Brandenburg zum Spielball der Mächte und schwankte je nach Lage zwischen Schweden und dem Kaiser, ohne schwere Verheerungen der Kurmark verhindern zu können. Auch das wichtigste außenpolitische Ziel der letzten Kriegsjahre wurde nicht erreicht: Obgleich das Herzogtum Pommern aufgrund alter Erbverträge 1637 an Brandenburg fallen sollte, erhielt Schweden im Westfälischen Frieden Vorpommern; Brandenburg wurde mit Hinterpommern, den säkularisierten Hochstiften Cammin, Minden und Halberstadt sowie der Anwartschaft auf das Erzstift Magdeburg entschädigt.Die Erfahrungen des Krieges bewogen Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640—88) zum Aufbau eines stehenden Heeres; er sollte in den folgenden Jahrzehnten auch die innere Entwicklung des Kurfürstentums bestimmen und dem fürstlichen Absolutismus den Weg ebnen. Während schwere Auseinandersetzungen mit den Ständen der einzelnen Landesteile in den 1650er- und 1660er-Jahren deren nachhaltige Schwächung zur Folge hatten, begann der Aufbau einer gesamtstaatlichen Bürokratie vor allem mit den Kriegskommissariaten, die zunächst für die Verwaltung und finanzielle Versorgung des Heeres zuständig waren und im Laufe der Zeit weit reichende Aufgaben in der Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik übernahmen.Die brandenburgische Außenpolitik, bestimmt sowohl von den polnisch-schwedischen Konflikten im Ostseeraum als auch von den Auseinandersetzungen zwischen Habsburg und Frankreich, war unter dem »Großen Kurfürsten«, wie Friedrich Wilhelm schon von seinen Zeitgenossen genannt wurde, von häufigen, zuweilen auch raschen Bündniswechseln geprägt. Zu schwach, um eine eigenständige Politik zu betreiben, aber stark genug, um als Bündnispartner interessant zu sein, nutzte Friedrich Wilhelm die wechselnden Konstellationen der internationalen Politik, um sich jeweils den Mächten anzuschließen, von denen er sich die größten Vorteile versprach. Den größten Erfolg erzielte er im 1. Nordischen Krieg (1655—60), als ihm der Wechsel von der Allianz mit Schweden zum Bündnis mit Polen die völkerrechtliche Souveränität über Preußen einbrachte. Gleichwohl zeigte sich in den Jahren seiner größten militärischen Erfolge, dass das Kurfürstentum im Konzert der großen Mächte im »Status einer Auxiliarmacht« (Johannes Kunisch) geblieben war. Der am 28. Juni 1675 bei Fehrbellin errungene Sieg über die mit Frankreich verbündeten Schweden begründete zwar seinen legendären Ruhm als Heerführer, führte aber im Frieden von Nimwegen 1678 nicht zum erhofften Gewinn Schwedisch-Vorpommerns.Die Erlangung der Königswürde für das Herzogtum Preußen war wohl die bedeutendste politische Leistung Kurfürst Friedrichs III. (1688—1713). Das gesteigerte Repräsentationsbedürfnis des prunkliebenden Barockfürsten war wohl eines der Motive dafür, doch handelte es sich nicht nur um ein »Werk der Eitelkeit«, wie sein Enkel Friedrich II. später meinte. Ebenso wie in Nimwegen hatte es Brandenburg noch bei den Verhandlungen zum Frieden von Rijswijk 1697 hinnehmen müssen, dass seine Gesandten zu den Verhandlungen nicht zugelassen wurden — erst die Rangerhöhung stellte die formale Gleichberechtigung mit den europäischen Mächten her.Der Regierungsantritt Friedrich Wilhelms I. im Jahre 1713 bedeutete eine Zäsur, die sich mit der Abschaffung der aufwendigen höfischen Repräsentation augenfällig manifestierte. Als »Preußens größter innerer König« (Carl Hinrichs) widmete sich der persönlich anspruchslose, durch den Pietismus hallischer Prägung beeinflusste Monarch dem ökonomischen Aufbau seines Landes. Das »Retablissement«, die Neuansiedlung von Bauern vor allem in dem durch eine Pestepidemie verwüsteten Ostpreußen, und eine merkantilistische Wirtschaftspolitik zur Unterstützung des heimischen Gewerbes sollten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes ebenso steigern wie seine Steuerkraft. Zugleich schufen Verwaltungsreformen, insbesondere die Vereinigung der wirtschafts- und finanzpolitischen Kompetenzen in dem 1723 geschaffenen Generaldirektorium, Grundstrukturen im Ausbau frühmoderner Staatlichkeit, die auch unter Friedrich II. von Bestand blieben.Das letzte Ziel aller Maßnahmen war der Ausbau einer großen, für das kleine Land überdimensionierten Streitmacht, die im letzten Etatjahr des Königs etwas über 80 Prozent des Staatshaushalts verschlang und deren Stärke im Laufe der Regierungszeit des »Soldatenkönigs« auf 80000 Mann verdoppelt wurde. Mit der viertgrößten Armee Europas war Preußen zu einem gewichtigen Faktor der europäischen Politik geworden. Expansiven Zwecken diente die Armee allerdings nicht: Nur in den ersten Regierungsjahren beteiligte sich Friedrich Wilhelm I. am Großen Nordischen Krieg, was Preußen einen Teil Schwedisch-Vorpommerns einbrachte; in den 1730er-Jahren stellte er — eher widerwillig — ein Kontingent im Polnischen Erbfolgekrieg. Die außenpolitische Leistung des »Soldatenkönigs« bestand darin, die errungene innere und äußere Macht defensiv einzusetzen — auch aus einem christlich geprägten Verantwortungsgefühl vor Gott, der »die ungerechte Krige verbohten«, wie er seinem Nachfolger, dem »lieben Successor« schrieb.Der preußisch-österreichische Dualismus beginntDer Ausgangspunkt des preußisch-österreichischen Konflikts war ein dynastischer Zufall: Im Jahre 1740 starben in wenigen Monaten Abstand der König in Preußen, Friedrich Wilhelm I., und der Römische Kaiser Karl VI. Auf den derben, polternden »Soldatenkönig« folgte Friedrich II., der, musisch veranlagt und der Philosophie zugetan, das genaue Gegenteil seines Vaters zu sein schien. Nach schweren Auseinandersetzungen, die mit dem Fluchtversuch des Kronprinzen und mit der Hinrichtung seines Freundes Hans Hermann von Katte, dem psychischen Zusammenbruch und der äußerlichen Unterwerfung unter den Willen des Königs endeten, war der Kronprinz in die ihm zugedachten Aufgaben hineingewachsen, und zur gleichen Zeit hatte er sich in Rheinsberg ein Refugium geschaffen, in dem er — lesend, dichtend, musizierend — seinen geistigen Neigungen nachging. Seine Kontakte mit Voltaire oder seine ersten Regierungsmaßnahmen schienen die Herrschaft eines »Philosophenkönigs« zu verheißen, doch verstärkte der junge Monarch auch das Heer sogleich um weitere 17600 Mann. Schon als Kronprinz hatte er 1732 die »fortschreitende Vergrößerung« des preußischen Staates als »politische Notwendigkeit« bezeichnet. Der Tod Karls VI. am 21. Oktober 1740 bot dazu die Chance. Unmittelbar nach dem Eintreffen der Todesnachricht sprach Friedrich von der glücklichen Situation, die es ihm erlaube, durch die Erwerbung Schlesiens zu profitieren. Die alten brandenburgischen Ansprüche auf Teile Schlesiens, die nie das Land als Ganzes betrafen und in der preußischen Außenpolitik der vorangegangenen Jahrzehnte kaum eine Rolle gespielt hatten, waren dabei nur von untergeordneter Bedeutung. Die wesentlichen Motive waren die Vergrößerung Preußens um ihrer selbst willen und das Streben nach gloire (Ruhm), das Friedrich selbst zu den maßgeblichen Triebfedern seines Handelns rechnete.Indem Friedrich bei einbrechendem Winter am 16. Dezember 1740 mit seinen Truppen die Grenze zu Schlesien überschritt, setzte er einen Prozess in Gang, der in einen gesamteuropäischen Konflikt mündete, doch verstand er es wie kein zweiter, sich die internationalen Konstellationen zunutze zu machen, ohne sich in sie verstricken zu lassen. Am 10. April 1741 errang sein Heer bei Mollwitz einen militärischen Erfolg, an dem der noch unerfahrene Feldherr wenig Anteil hatte; am 4. Juni trat er der mittlerweile entstandenen antiösterreichischen Koalition bei. Bereits ein Jahr später schied er aus dem Bündnis aus, nachdem ihm das von allen Seiten bedrängte Österreich den Besitz Schlesiens zugesichert hatte. Erst als sich 1744 die Lage zugunsten Österreichs gewandelt hatte, schloss er erneut ein Offensivbündnis mit Frankreich und fiel in Böhmen ein. Das folgende Jahr brachte — bei Hohenfriedberg, Soor und Kesselsdorf — drei preußische Siege, die Österreich zwangen, mit Friedrich II. am 25. Dezember 1745 einen Frieden zu schließen, der ihm den Besitz Schlesiens bestätigte. Auch der 2. Schlesische Krieg endete also damit, dass er aus dem Bündnis ausschied, nachdem die eigenen politischen Ziele gesichert schienen.Ging es Friedrich II. um Schlesien, so ging es Österreich ums Überleben. Der preußische Überfall auf Schlesien bedeutete den Auftakt zu einer Auseinandersetzung, in der der Konflikt mit Preußen nur ein regional begrenzter Teilaspekt war. Die Kurfürsten von Bayern und Sachsen, die mit Töchtern Kaiser Josephs I. verheiratet waren, erhoben Ansprüche auf das habsburgische Erbe; die bourbonischen Herrscher von Frankreich, Spanien und Neapel hofften auf Gewinne aus den niederländischen und italienischen Besitzungen der Habsburger. Bereits 1739 war in Westindien ein Kolonialkrieg zwischen Spanien und Großbritannien ausgebrochen, das zusammen mit den Niederlanden an die Seite Österreichs trat. Der Österreichische Erbfolgekrieg trug, wie bereits der Spanische, Züge eines Weltkrieges, in dem es neben der Verteilung der Gewichte im europäischen Mächtesystem auch um die Vorherrschaft in Übersee ging.Für die junge Erzherzogin Maria Theresia war die Lage des Jahres 1741 mehr als kritisch. Während die Preußen in Schlesien standen, marschierten bayrisch-französische Truppen nach Niederösterreich, schließlich nach Böhmen, wo Karl Albrecht von Bayern zusammen mit seinen sächsischen Verbündeten Ende November 1741 Prag eroberte und sich wenige Tage vor Weihnachten zum König von Böhmen krönte. Gut einen Monat später fiel die Wahl des Römischen Kaisers ebenfalls auf den Wittelsbacher, doch gelang es den österreichischen Streitkräften bald nach der feierlichen Krönung Karls VII. am 12. Februar 1742, weite Teile Bayerns zu besetzen. Für die meiste Zeit seines kurzen Kaisertums war der Wittelsbacher ein Herrscher ohne Land, dessen Ambitionen nicht erst mit seinem frühen Tod am 20. Januar 1745 gescheitert waren. Das Ausscheiden Preußens und Sachsens aus dem Krieg im Juni 1742 leitete zusammen mit dem aktiveren Eingreifen der Seemächte Großbritannien und Holland eine Wende ein. Nach dem Sieg der aus österreichischen, niederländischen und britischen Truppen bestehenden »pragmatischen Armee« über die Franzosen am 27. Juni 1743 stießen österreichische Truppen unter Karl von Lothringen über den Rhein nach Frankreich vor, doch wurden weiter gehende militärische Erfolge durch den erneuten Einfall Friedrichs II. in Böhmen vereitelt. Der Friede von Aachen vom 18. Oktober 1748 brachte schließlich die Wiederherstellung des europäischen Gleichgewichts unter weitgehender Wahrung des Status quo. Österreich, das außer Schlesien lediglich das Herzogtum Parma abtreten musste, hatte seine territoriale Integrität im Wesentlichen verteidigen können; die Kaiserkrone war bereits 1745 dem Gemahl Maria Theresias, Franz I. Stephan von Lothringen-Toskana, zugefallen. Der eigentliche Gewinner des Krieges war Friedrich II. Bereits bei den Zeitgenossen entstand angesichts der Ergebnisse des Aachener Kongresses der Eindruck, als habe Europa acht Jahre lang Krieg geführt, um dem preußischen König die Provinz Schlesien zu erobern.Reformen und der »Wechsel der Allianzen«Für Preußen wie für Österreich bedeutete die Zeit nach den Friedensschlüssen eine Phase innerer Reformen. So wurde in Preußen unter dem Justizminister Samuel von Cocceji eine Justizreform eingeleitet, die durch eine Neuregelung des Instanzenzuges eine einheitliche Gerichtsverfassung in allen Landesteilen durchsetzte. Auch in der Wirtschaftspolitik wurden neue Initiativen ergriffen: Die Entwässerung und Urbarmachung des Oderbruchs zählten zu den herausragenden Leistungen der Zwischenkriegszeit, waren aber nur Teil umfassenderer Maßnahmen zur Peuplierung und Wirtschaftsförderung, die die Ansiedlung von Landhandwerkern ebenso einschlossen wie die Förderung von Manufakturen.In Wien konzentrierte man sich unter Federführung von Friedrich Wilhelm Graf von Haugwitz auf die Neuorganisation des ineffektiven Finanzwesens, der Verwaltung und der Heeresorganisation. Die am preußischen Vorbild orientierte Staatsreform in den zum Reich gehörigen Erbländern — Ungarn blieb davon unberührt — führte nicht nur zu einer Zentralisierung und Vereinheitlichung der inneren Verwaltung und deren Trennung von der Justiz. Wesentlich war zugleich, dass mit der Konzentration der finanz-, kameral- und innenpolitischen Kompetenzen in der Hand staatlicher Behörden den Landständen der bisherige Einfluss auf die Steuererhebung und -verwaltung entzogen wurde. Auch wenn die haugwitzsche Verwaltungsreform nach dessen Sturz durch den Staatskanzler von Kaunitz teilweise wieder rückgängig gemacht wurde, bedeutete sie einen entscheidenden Schritt in der Durchsetzung absolutistischer Herrschaft.Ihr letztes Ziel war die Steigerung der Finanzkraft des Staates — und seiner militärischen Schlagkraft. Seit dem Frieden von Aachen bereitete sich Österreich mit dem Ziel der Wiedergewinnung Schlesiens auf eine erneute Auseinandersetzung mit Preußen vor. Unter dem 1753 zum Staatskanzler ernannten Diplomaten Wenzel Anton Graf von Kaunitz bahnte sich in den 1750er-Jahren eine Annäherung der bisherigen Rivalen Bourbon und Habsburg an, die schließlich zu einem renversement des alliances (Wechsel der Allianzen) führte. Die auslösende Rolle für den Abschluss des Bündnisvertrags zwischen Versailles und Wien spielte Friedrich II., der vor dem Hintergrund der 1755 ausgebrochenen kolonialen Konflikte zwischen Frankreich und Großbritannien am 16. Januar 1756 ein Neutralitätsabkommen mit London schloss und damit zur Einkreisung durch eine kontinentale Koalition beitrug, der sich im Laufe des Jahres 1756 auch die russische Zarin Elisabeth anschloss.Indem er mit seinem überraschenden Einmarsch in Sachsen im August 1756 dem für das darauf folgende Jahr erwarteten Angriff der Gegner zuvorzukommen und sich günstige strategische Ausgangspositionen zu schaffen suchte, löste Friedrich II. den Siebenjährigen Krieg aus, der mit dem Kompromissfrieden von Hubertusburg am 15. Februar 1763 beendet wurde. Während sich nach der gleichzeitig geführten weltweiten Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien die Gewichte zugunsten des entstehenden Britischen Weltreiches verschoben, hatte der Krieg in Mitteleuropa zu einer Bestätigung des territorialen Status quo geführt: In einem Ringen, das Preußen an den Rand der völligen Erschöpfung führte, hatte es die Erwerbung Schlesiens verteidigt und seine Stellung als Großmacht im europäischen Mächtesystem behauptet.Heiliges Römisches Reich und preußisch-österreichischer DualismusDie Existenz zweier Großmächte innerhalb des Heiligen Römischen Reiches führte zu einer Veränderung des Verhältnisses von Kaiser und Reichsständen, die das Verfassungsgefüge des Reiches nicht unberührt ließ. Wie der Krieg gezeigt hatte, versagten die traditionellen Instrumente der Friedens- und Rechtswahrung in einer Auseinandersetzung zwischen Großmächten. Hinzu kam, dass die Großmachtstellung Preußens im Reich Ansätze zu einer neuen Klientelbildung bot und vor allem den protestantischen Reichsständen einen Rückhalt zu gewährleisten schien. Der Gegensatz zwischen Preußen und Österreich führte zu einer Doppelpoligkeit innerhalb des Reichsgefüges, an der sich die mindermächtigen Reichsstände orientierten. Die alte verfassungsrechtliche Dualität zwischen Kaiser und Reich wurde von dem machtpolitischen preußisch-österreichischen Dualismus überlagert.Gleichwohl bedeutete dies auch eine neue Balance, die dazu beitrug, das territoriale Gefüge im Reich noch einige Jahrzehnte zu erhalten. Während außerhalb des Reiches die pure Machtpolitik 1772 dazu geführt hatte, dass Österreich, Preußen und Russland im gemeinsamen Vorgehen große Teile Polens an sich reißen konnten, wurden im Reich größere Mächteverschiebungen, wie sie Joseph II. anstrebte, nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenz zwischen Preußen und Österreich verhindert.Dies zeigte sich insbesondere in der Frage der bayerischen Erbfolge. Schon vor dem Tod des kinderlosen bayerischen Kurfürsten Maximilian III. Joseph verfolgte Joseph II. Pläne zum Tausch der weitab liegenden österreichischen Niederlande gegen Bayern, denen der erbberechtigte Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz nicht abgeneigt war. Wien nahm dann doch davon Abstand, beanspruchte aber im Erbfall, der mit dem Tode Maximilians III. Joseph am 31. Dezember 1777 eintrat, Teile Ober- und Niederbayerns. Joseph II. ließ Truppen in Bayern einrücken, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, bot damit aber Friedrich II. den Anlass, ihn der Verletzung des Reichsrechts zu beschuldigen und seinerseits im Juli 1778 in Böhmen einzumarschieren. Der kurze, als »Kartoffelkrieg« bekannt gewordene Konflikt endete mit einer Niederlage Österreichs. Während Karl Theodor die bayerische Erbschaft antrat, erhielt Joseph II. lediglich das Innviertel und musste zudem einen erheblichen Ansehensverlust im Reich hinnehmen. Preußen wurde dagegen im Frieden von Teschen 1779 die Anwartschaft auf die fränkischen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth gegen den Willen Österreichs garantiert, die ihm im Erbfall den Weg nach Süddeutschland öffnete.Mit dem Eingreifen zugunsten Bayerns hatte sich das Preußen des einstigen Rechtsbrechers Friedrich II. als rechtswahrende Kraft gezeigt, während die josephinische Reichspolitik den Kaiser nach dem Tode Maria Theresias 1780 zunehmend isolierte. Die Neueinteilung der Diözesen in seinen Erblanden, die zulasten von Reichsbistümern wie Passau ging, brachte die Kaisermacht um ihren Rückhalt bei den traditionell habsburgtreuen Hochstiften, während erneute Pläne eines bayerisch-belgischen Gebietstausches 1784 das Misstrauen gegen den Kaiser schürten. Bereits 1783 kam es zu Plänen eines »Fürstenbundes« mindermächtiger Reichsstände, mit denen sich der Gedanke einer Reichsreform verband. Friedrich II. sah darin eine Chance, die antihabsburgisch gestimmten Reichsstände enger an Preußen zu binden, und rief 1785 zusammen mit Kurbraunschweig-Lüneburg und Kursachsen den Deutschen Fürstenbund ins Leben, dem sich nicht nur eine Reihe protestantischer Reichsfürsten, sondern auch der Kurfürst und Erzbischof von Mainz anschloss. Zeitweise wuchs der preußische König beinahe in die Rolle eines »Gegenkaisers« (Karl Otmar von Aretin) hinein, doch nutzte er den Fürstenbund im Grunde lediglich dazu, um die kleineren und mittleren Reichsstände gegen Österreich zu mobilisieren. Anstatt ein Gegengewicht zu den rivalisierenden Großmächten zu bieten, wurde der Fürstenbund in den Auseinandersetzungen zwischen ihnen instrumentalisiert und war bereits gescheitert, als sich Preußen 1788 aus ihm zurückzog.Friedrich II., Joseph II. und der aufgeklärte AbsolutismusFriedrich II. und Joseph II.— die als »Friedrich der Einzige« und »Joseph der Weise« nicht selten in einem Atemzug genannt wurden — verkörperten auf unterschiedliche Weise par excellence den Typus des aufgeklärten Monarchen, wobei sie allerdings sehr unterschiedliche Wege gingen.Auch nach 1763 standen bei Friedrich II. die wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Vordergrund. Das Bild des um das Wohl seiner Untertanen besorgten Monarchen, der während des »Retablissements« (Wiederherstellung) auf seinen Rundreisen das Land inspiziert, hat die Friedrichlegende lange geprägt. Zweifellos hat der preußische Staat unter der Regierung Friedrichs II. im inneren Ausbau des Landes Beträchtliches geleistet. Die Wirtschaftsförderung entsprach den aufklärerischen Forderungen nach einer Hebung der allgemeinen Wohlfahrt, blieb aber nichtsdestoweniger in starkem Maße fiskalisch motiviert und stand damit im Dienste des Staates und seiner militärischen Notwendigkeiten. Zugleich bestimmten diese Notwendigkeiten auch die Grenzen aufgeklärter Politik. Obgleich Friedrich II. in seinen persönlichen Überzeugungen die Gutsuntertänigkeit der preußischen Bauern ablehnte und die Frondienste auf den königlichen Domänen aufhob, blieben die Verhältnisse auf den adligen Gütern unangetastet. Die ständische Gesellschaftsordnung war für Friedrich II. die Grundlage seiner Herrschaft; der Adel schien als tragende Säule der Militärverfassung unverzichtbar. Zwar betonten die Vorschriften, die den Zugang zu öffentlichen Ämtern regelten, das Qualifikationsprinzip, doch blieben die höheren Beamtenstellen ebenso wie die Offizierslaufbahn dem Adel vorbehalten. Noch das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten, das in der zweiten Phase der Justizreform als eine der bedeutendsten Rechtskodifikationen der Aufklärung seit 1780 entstand, spiegelt die Janusgesichtigkeit des aufgeklärten Absolutismus in Preußen wider, indem es die ständische Gliederung rechtlich fixierte. So sehr Friedrich II. in seinem Selbstverständnis und seinen philosophischen Überzeugungen durch die Aufklärung beeinflusst war: Die Bereitschaft zur Reform fand ihre Grenze an der Staatsräson — der Staatsräson eines Militärstaates, wie ihn der König selbst bezeichnete.Anders als der aufgeklärte Absolutismus Friedrichs II. war der Josephinismus ein Versuch, ein umfassendes Reformprogramm zu verwirklichen, das die soziale, politische und kirchliche Ordnung in den habsburgischen Erblanden ohne Rücksichtnahme auf gewachsene Traditionen grundlegend zu verändern suchte. Ein Jahr nach der Übernahme der Alleinregierung durch Joseph II., 1781, leitete eine Reihe Aufsehen erregender Maßnahmen die Reformgesetzgebung ein: In den zum Reich gehörigen Erblanden wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft verkündet, die 1785 auch in Ungarn abgeschafft wurde; Toleranzpatente sicherten den Angehörigen aller christlichen Konfessionen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte zu und wurden in den folgenden Jahren durch weitere Edikte zur rechtlichen Besserstellung der Juden ergänzt; die Zensur wurde in einem Edikt gelockert, das ausdrücklich die öffentliche Kritik am Landesfürsten gestattete. Ein Schwerpunkt des josephinischen Reformwerks war die Kirchenpolitik, die mit einer Neugliederung der Kirchenorganisation, der staatlichen Aufsicht über die Priesterausbildung und weit reichenden Eingriffen bis in die gottesdienstliche Ordnung hinein die Kirche dem Staat zu unterstellen suchte und durch die Aufhebung von mehr als 700 Klöstern große Teile des Kirchenvermögens in dessen Verfügungsgewalt brachte. Ein zweites Hauptziel war die rigorose Vereinheitlichung und Zentralisierung der Verwaltung — bis hin zur Einführung des Deutschen als Amtssprache in allen Landesteilen des Vielvölkerstaats.Zweifellos enthielt das Reformwerk Josephs II. zahlreiche wegweisende Neuerungen, die — wie etwa die Besteuerung von Adel und Klerus oder die Abschaffung der Todesstrafe im neuen Strafgesetzbuch von 1787 — neben Nützlichkeitserwägungen aufgeklärt-humanitäre Zielsetzungen erkennen lassen. In seiner Gesamtheit stellte es allerdings den Versuch dar, die Effizienz und Omnipotenz des Staats auf das Höchste zu steigern. Charakteristisch dafür ist der Aufbau einer geheimen Polizei zur Überwachung der Untertanen, durch die auch die anfänglich liberalen Zensurgrundsätze Josephs II. mehr und mehr außer Kraft gesetzt wurden.Die hastigen, gegen heftige Widerstände durchgesetzten Reformen führten die Habsburgermonarchie schließlich in eine schwere innere Krise und zu Aufständen in den österreichischen Niederlanden und in Ungarn. Joseph II. musste sich noch kurz vor seinem Tode eingestehen, dass er mit seinem Reformwerk gescheitert war, und er nahm seine Maßnahmen zum Teil wieder zurück; Leopold II. gelang es durch eine behutsame Politik, den inneren Frieden wieder herzustellen.Dr. Georg SeidererWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Siebenjähriger Krieg: Schlachtfelder auf drei KontinentenExpansion und Gleichgewicht. Studien zur europäischen Mächtepolitik des Ancien régime, herausgegeben von Johannes Kunisch. Berlin 1986.Friedrich der Große: Die Werke Friedrichs des Großen in deutscher Übersetzung, herausgegeben von Gustav Berthold Volz. Band 2: Geschichte meiner Zeit. Berlin 1912.Friedrich der Große, herausgegeben von Otto Bardong. Darmstadt 1982.Gutkas, Karl: Kaiser Joseph II. Eine Biographie. Wien u. a. 1989.Maria Theresia: Briefe und Aktenstücke in Auswahl, herausgegeben von Friedrich Walter. Darmstadt 1968.Maria Theresia und ihre Zeit, herausgegeben von Walter Koschatzky. Salzburg u. a. 21980.Mittenzwei, Ingrid: Friedrich II. von Preußen. Berlin-Ost 51990.Möller, Horst: Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutschland 1763-1815. 1994. 1994.Neugebauer, Wolfgang: Die Hohenzollern, Band 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740. Stuttgart 1996.Österreich im Europa der Aufklärung, bearbeitet von Richard Georg Plaschka. 2 Bände. Wien 1985.Die pragmatische Sanktion, herausgegeben von Hugo Pöpperl. Leipzig 1917.Preußen - Versuch einer Bilanz. Ausstellungskatalog Gropius-Bau, Berlin, 5 Bände. Reinbek 1981.Schieder, Theodor: Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche. Neuausgabe Berlin 1996.Schilling, Heinz: Höfe und Allianzen. Deutschland 1648-1763. Sonderausgabe Berlin 1994.Uz, Johann Peter: Sämtliche poetische Werke, herausgegeben von August Sauer. Stuttgart 1890.Wandruszka, Adam: Maria Theresia. Göttingen u. a. 1980.
Universal-Lexikon. 2012.